© 2022 Adobe Stock, romanb321

CO2 raus – Pflanzenkohle rein!

Ein Fachbeitrag von Hansjörg Lerchenmüller

Warum braucht Klimaneutralität auch Kohlenstoffsenken? Die Brisanz des fortschreitenden Klimawandels nimmt zu. Technologisch haben wir alle Lösungen in der Hand, um die Emissionen um 90 bis 95 Prozent zu verringern. Die Emissionsreduktion allein ist jedoch nicht mehr ausreichend, denn wir haben bereits heute zu viel CO2 in der Atmosphäre. Deshalb und weil wir nach dem weitgehenden Ausstieg aus den fossilen Energieträgern immer noch Restemissionen haben werden, brauchen wir einen aktiven CO2-Entzug durch Kohlenstoffsenken (C-Senken) in einer gewaltigen Größenordnung. Nur so können wir überhaupt Klimaneutralität erreichen.

Klimaneutralität bedeutet eine ausgeglichene Bilanz von verbleibenden Emissionen auf der einen Seite und neu geschaffenen Kohlenstoffsenken auf der anderen. Dahin kommen wir, indem wir massiv Emissionen einsparen und gleichzeitig C-Senken schaffen. Da der Ausbau von C-Senken Zeit braucht und es technische und wirtschaftliche Grenzen gibt, gilt dabei der Grundsatz: Nur wenn wir unsere Emissionen ausreichend reduzieren, reicht das Potenzial der Kohlenstoffsenken aus. Innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte können und müssen wir die Emissionen so weit senken, dass höchstens 15 Prozent übrig bleiben. In der EU bedeutet dies, dass das C-Senkenvolumen auf mindestens 850 Millionen Tonnen CO2 jährlich anwachsen muss. Wir sehen, wir haben es mit einer drängenden Mammutaufgabe zu tun. Also: Los geht’s!

Wie können Kohlenstoffsenken aussehen?

Nach heutigem Sachstand gibt es sechs Negativemissionstechnologien (engl. Negative Emission Technologies, kurz NETs) mit relevantem Potenzial und beherrschbarem ökologischen Risikoprofil. Vor dem Hintergrund dieser Mammutaufgabe werden wir alle sechs NETs benötigen, denn keine Lösung allein wird das notwendige Volumen an C-Senken bereitstellen können. So gilt es, all diese Lösungen und Optionen weiterzuentwickeln und geeignete Anwendungen zu finden. Sofort umsetzen lassen sich drei Lösungen: Aufforstung bzw. Wiederaufforstung, Pflanzenkohle/PyCCS und der Aufbau bodenorganischer Substanz. Sie ermöglichen kurzfristig ein relevantes Volumen, sind kosteneffizient und bringen neben dem Klimanutzen auch einen Zusatznutzen mit. Dieser Zusatz- oder Anwendungsnutzen (engl. co-benefit) verteilt die Kosten auf mehrere Schultern und macht die CO2-Rückholung günstiger. Alle drei Lösungen zeigen bei guter Umsetzungspraxis überwiegend positive Auswirkungen auf die Ökosysteme.

Enhanced Weathering, die gezielte Gesteinsverwitterung, wird inzwischen intensiv beforscht und erscheint sehr aussichtsreich. Diese Option zeigt grundsätzlich ein sehr großes Potenzial, auch für eine schnelle Skalierung, jedoch sind in Bezug auf die konkrete Umsetzung noch zahlreiche Fragen offen. Bei zweien der sechs Negativemissionstechnologien wird CO2 aus der Luft (DACCS) bzw. aus dem Rauchgas von Biomasseverbrennung (BECCS) abgeschieden. Das abgeschiedene CO2 muss für die Schaffung einer C-Senke verflüssigt werden und unterirdisch, beispielsweise in alten Öllagerstätten in der Nordsee, verpresst oder in einer passenden geologischen Gesteinsformation abgeschieden werden. In jedem Fall wird der Aufbau der notwendigen Infrastruktur viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Bei BECCS stellen sich nach derzeitigem Kenntnisstand noch zahlreiche Fragen, insbesondere in Bezug auf die Verfügbarkeit möglicher Standorte. Für einen wirtschaftlichen und ökologisch sinnvollen Betrieb solcher Anlagen müssen drei Standortvoraussetzungen gegeben sein:

  1. Es muss günstige Restbiomasse ohne große Transportwege verfügbar sein,
  2. die im Prozess anfallende Abwärme muss sinnvoll genutzt werden können und
  3. es muss eine Infrastruktur für den Abtransport des flüssigen CO2 mit Schiffen oder über Pipelines vorhanden sein oder mit vertretbarem Aufwand geschaffen werden können.

DACCS gilt als sehr aussichtsreich und wird derzeit mit viel Einsatz weiterentwickelt. Dabei zeichnen sich technologisch große Fortschritte und zukünftig greifbare Kostensenkungspotenziale ab. Da diese Technologie einen beträchtlichen Energiebedarf aufweist, ist ein großskaliger Einsatz jedoch erst dann bzw. nur dort sinnvoll, wenn bzw. wo überschüssiger erneuerbarer Strom in ausreichender Menge verfügbar sein wird. Damit die Skalierung von DAACS auf ein relevantes Volumen gelangt, wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erhebliche Investitionen brauchen. Dann kann sie jedoch in Verbindung mit dem beschleunigten Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft zu einer Schlüsseltechnologie im Kampf gegen die Klimakrise werden.

Pflanzenkohle/PyCCS kommt als NET eine ganz besondere Bedeutung zu: Sie ist über Jahrhunderte stabil, die CO2-Speicherung kann einfach und exakt bilanziert werden, und die Technologie bietet wirtschaftlich interessante Synergien mit der Bioenergienutzung. Die Anlagentechnik ist inzwischen kommerziell verfügbar und so kann Pflanzenkohle/PyCCS als NET innerhalb von zehn bis 15 Jahren zu klimarelevanten Beiträgen skaliert werden. Mit den NETs (Wieder-)Aufforstung, Aufbau bodenorganischer Substanz und Enhanced Weathering verbindet sie ebenfalls Synergien.

 

Was ist Pflanzenkohle?

Pflanzen entziehen der Atmosphäre CO2 – dies verdanken wir der Photosynthese. Lässt man diese Biomasse verrotten oder verbrennt sie, gelangt der Kohlenstoff als CO2 zusammen mit weiteren klimaschädlichen Gasen zurück in die Atmosphäre. Das gilt es zu verhindern, was mit der Pyrolyse gelingt. Darunter versteht man ein „Backen“ in Sauerstoff-limitierter Umgebung. Dabei wird die schwarze Pflanzenkohle gebildet. Weiterhin entstehen energiereiches Pyrolyse-Öl und Pyrolysegas.

 

Was macht Pflanzenkohle als NET so wertvoll?

Wenn es um den Aspekt der Negativemissionen von Pflanzenkohle geht, spricht man von PyCCS (Pyrogenic Carbon Capture and Storage). Dies bedeutet: Über Photosynthese eingefangener Kohlenstoff wird mittels Pyrolyse dauerhaft beständig gemacht. Diesen Kohlenstoff gilt es nun zu lagern (C-Senke) und am besten gleichzeitig zu nutzen (Zusatznutzen). Denn Kohlenstoff ist ein wertvoller Rohstoff für den Einsatz in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen – allen voran in Bodenanwendungen und Baustoffen. Genau dieser Zusatznutzen der Pflanzenkohle macht PyCCS zu einer wirklich schlauen Idee und unterscheidet den Ansatz fundamental von Negativemissionslösungen, deren einziger Zweck es ist, CO2 einzulagern und die damit ein reiner „costcase“ sind. Damit sich Pflanzenkohle positiv auf das Klima auswirken kann, ist die Gesamtbilanz von Biomassegewinnung, Pyrolyse, Weiterverarbeitung und Anwendung entscheidend. Nur wenn diese insgesamt klimapositiv ausfällt, kann man von einer echten C-Senke sprechen.

Seit einigen Jahren gibt es für Pflanzenkohle ein Qualitätssicherungssystem: das Europäische Pflanzenkohle Zertifikat (EBC) [1]. Es wurde im Juni 2020 um den neuen Standard zur Zertifizierung von Kohlenstoffsenken ergänzt [2]. Damit ist eine wissenschaftlich fundierte Basis für eine Quantifizierung der C-Senkenleistung durch Pflanzenkohle vorhanden. Die wichtigsten Elemente sind:

  • Die Gewinnung der Biomasse muss klimaneutral sein.
  • Emissionen aus dem Pyrolyseprozess müssen in Abzug gebracht werden.
  • Emissionen aus dem Transport und gegebenenfalls aus der Weiterverarbeitung der Pflanzenkohle müssen ebenfalls subtrahiert werden.
  • Die schlussendliche Pflanzenkohle-Anwendung bestimmt die Dauerhaftigkeit der C-Senke, so muss z. B. bei der Bodenanwendung ein jährlicher Zerfall angenommen werden, bei der Anwendung im Beton oder Asphalt ist das nicht nötig.

Eine der größten Stärken der Pflanzenkohle ist ihre Stabilität. Sie ist sehr dauerhaft und wird kaum biologisch oder chemisch zersetzt. Für die Klimawirkung einer Kohlenstoffsenke macht es einen erheblichen Unterschied, ob eine Tonne Kohlenstoff nur über 30 Jahre gespeichert wird (z. B. bei der Aufforstung) oder über Jahrhunderte stabil bleibt (z. B. Pflanzenkohle). Die Stabilität des Humus ist von der Bewirtschaftung des Bodens abhängig, die Aufforstung wiederum vom Klima selbst – von der Abwesenheit von Dürre und Bränden. Letztere werden jedoch durch den Klimawandel häufiger.

Die Anwendung von Pflanzenkohle in landwirtschaftlichen Böden wird schon seit Beginn des Jahrtausends als Methode zur Bindung und Speicherung von Kohlenstoff diskutiert. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten haben sich seither mit der Persistenz des Kohlenstoffs im Boden beschäftigt [3, 4, 5, 6] und gezeigt, dass die mittlere Verweildauer des Pflanzenkohle-Kohlenstoffs im Boden höher als die aller anderen organischen Kohlenstoffverbindungen ist [7, 8, 9, 10]. Bei den Baustoffen geht die Wissenschaft von einem Abbau gleich null aus, da die Pflanzenkohle keinerlei mikrobieller Zersetzung ausgesetzt ist. Die langfristige Speicherung ist somit grundsätzlich sichergestellt, was eine rigorose Bilanzierung der Pflanzenkohle-basierten Kohlenstoffsenken ermöglicht.

 

Weitere Vorteile der Pflanzenkohle als NET

  • Potenzial: Pyrolyse kann einen Großteil der pflanzlichen Kohlenstoffverbindungen in äußerst stabile Formen umwandeln. Biomasse in Form von Rest- und Abfallstoffen ist in großem Ausmaß vorhanden. Potenzialabschätzungen zeigen, dass allein in der EU ein Senkenvolumen von 255 Millionen Tonnen CO2 innerhalb von 15 Jahren erreichbar ist. Dies ist ein absolut relevantes Potenzial.
  • Umsetzbarkeit: Die Pyrolyse-Technologie ist heute bereits kommerziell verfügbar und kann leicht skaliert werden. Die Logistik für Biomasse steht, sie muss „nur“ von der reinen Verbrennung, zu der aus Klimasicht deutlich sinnvolleren Pyrolyse umgelenkt werden.
  • Modularität: Pflanzenkohle ist großtechnisch und auch kleinteilig realisierbar. Die Erfolgsgeschichte der Photovoltaik zeigt, dass gerade modulare Lösungen schnell skaliert werden können und dabei Kosten stark reduziert werden.
  • Schutz der Ökosysteme: Bei einer angemessenen Qualitätssicherung (z. B. EBC-Richtlinien) bestehen keine ökologischen Risiken. Zudem ist Pflanzenkohle leicht zu transportieren und dezentral herstellbar.
  • Kohlenstoff-Effizienz: Mit der aktuellen Anlagentechnik werden heute 20 bis 60 Prozent des Kohlenstoffs in der Pflanzenkohle gebunden. Wird zusätzlich auch das Pyrolyse-Öl abgeschieden, lässt sich mit PyCCS eine Kohlenstoffspeicherung von bis zu 70 Prozent realisieren. Der jeweils verbleibende Kohlenstoffanteil wird energetisch genutzt, um daraus z. B. Strom und Wärme zu erzeugen.
  • Kosten: Pflanzenkohle hat einen Primärnutzen. Die C-Senkenleistung ist ein Zusatznutzen. Daher leisten schon Vergütungen ab 100 Euro/Tonne CO2 einen signifikanten Beitrag zum Business Case und begünstigen den Einsatz von Pflanzenkohle. Kohlenstoffsenken-Zertifikate auf Basis von Pflanzenkohle, wie beispielsweise von der Carbonfuture GmbH, leisten heute schon einen wichtigen Beitrag zur Skalierung des Pflanzenkohlemarkts.

 

Anwendungsmöglichkeiten und Zusatznutzen von Pflanzenkohle

Die Einsatzmöglichkeiten von Pflanzenkohle reichen von der Landwirtschaft über Stadtbaum-Pflanzsubstrate bis hin zu Baumaterialien und vielen weiteren Anwendungen. Eine Vielzahl von praktischen Erfahrungen und unzählige wissenschaftliche Publikationen belegen, dass Pflanzenkohle in der Landwirtschaft vielfältig gewinnbringend und nutzenstiftend eingesetzt werden kann [11]. So ist es möglich, je nach Bodenqualität, Ertragssteigerungen zu erzielen, den Humusaufbau zu fördern [12, 13] sowie die Wasserspeicherfähigkeit von Böden und damit die Trockenresistenz zu erhöhen [14, 15]. Zudem können Treibhausgasemissionen wie Methan und Lachgas sowie Nitratauswaschungen [16] reduziert werden. Als Zusatz bei der Kompostierung erhöht Pflanzenkohle die Kompostqualität und verringert Stickstoffverluste [17, 18]. Auch in der Tierhaltung zeigt die Pflanzenkohle einen vielfältigen Nutzen und verbessert das Tierwohl [19].

Die Stadt Stockholm konnte bei ihrem Biochar-Projekt zeigen, dass ein Pflanzenkohle haltiges Pflanzsubstrat bei Stadtbäumen das Wachstum fördert und die Resistenz gegen Trockenstress steigert [20, 21]. Aktuell wird in der Forschung und in Pilotprojekten zunehmend Pflanzenkohle in Baustoffen getestet, denn durch Zusatz von Pflanzenkohle lassen sich diese klimapositiv stellen.

 

Grüner Asphalt und Beton

Pflanzenkohle als technischer Kohlenstoff kann als Additiv zu Beton und Asphalt deren Eigenschaften verbessern [22]. Beton ist nach Wasser das meistbenötigte Konsumgut der Welt. Die globale Nachfrage nach Bauzuschlagsstoffen wird bis 2022 schätzungsweise 66 Milliarden Tonnen erreichen [23] – ein enormes Potenzial für C-Senken. Ähnlich sieht es bei Asphalt aus. Zur Umsetzung des jährlichen Bedarfs werden jedes Jahr global 1.8 Milliarden Tonnen Asphalt gegossen [24]. Würden 2 Prozent Pflanzenkohle zugegeben, könnte ein Bedarf von 32 Millionen Tonnen entstehen. Jüngst wurde in Dornbirn in Vorarlberg durch das EnergieWerk Ilg ein Straßenbelag entwickelt, dem 2 Prozent Kohlenstoff beigemengt wurden. Damit speichert der Asphalt mehr CO2, als bei der Erzeugung verbraucht wurde. Bei vielen der Anwendungen muss Pflanzenkohle vor dem Einsatz spezifisch veredelt werden. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Aufladung von Pflanzenkohle mit Nährstoffen für die Bodenverbesserung. Aber auch für Anwendungen in Baustoffen bedarf es entsprechender Verarbeitungsschritte. Die Techniken dazu, aber auch die Rezepte zur Veredelung von Pflanzenkohle, werden derzeit von einigen Unternehmen verfeinert und skaliert.

 

Biomasse: Verbrennen, pyrolysieren oder kombinieren?

Biomasse kann entweder zur Energiegewinnung verbrannt oder zur Schaffung einer Kohlenstoffsenke genutzt werden. Im Englischen gibt es das Sprichwort: „You can’t have your cake and eat it.“ Übertragen auf Biomasse heißt das: Entweder wird sie verbrannt oder zum Aufbau einer C-Senke verwendet. Letzteres muss nun zunehmend in den Fokus rücken. Verbrennung setzt CO2 frei, Pyrolyse schafft Kohlenstoffsenken. In einer Zeit, in der es Emissionen um 90 bis 95 Prozent zu reduzieren gilt, liegt die künftige Biomassenutzung auf der Hand. Die gute Nachricht ist: Bioenergie-Herstellung kann mit Pyrolyse kombiniert werden. Denn die meisten Pflanzenkohle-Anlagen können gleichzeitig auch Wärme und einige auch Strom produzieren. Ein weiterer Vorteil der Pyrolyse-Bioenergie-Kombi ist: Weitere nachhaltige Biomasse-Ressourcen kommen ins Spiel, z. B. Klärschlamm und Altholz.

 

Welchen Beitrag kann die Pflanzenkohle leisten?

Pflanzenkohle (PyCCS) hat den großen Vorteil, dass sie zügig skaliert werden kann. Die Überlegung des European Biochar Industry Consortiums (EBI) zur Skalierung ist die folgende: Es kann und muss uns in Europa gelingen, innerhalb von 15 bis 20 Jahren die Emissionen auf allenfalls 15 Prozent des Werts von 1990 zu reduzieren. Damit wären die Emissionen zu diesem Zeitpunkt auf 850 Millionen Tonnen COverringert. Als europäische Pflanzenkohle-Industrie haben wir uns zum Ziel gesetzt, mindestens 30 Prozent dieser Menge durch aktiven Kohlenstoffentzug mit Pflanzenkohle abzudecken. In Zahlen lautet dieses Ziel also: 255 Millionen Tonnen CO2. Ist das zu schaffen? Die kurze Antwort lautet: „Ja“. Die erforderliche Biomasse ist vorhanden, die Industrie skalierbar und die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig und verfügen über ausreichend Potenzial.

Etwas ausführlicher: In Europa stehen inzwischen einige professionelle Anlagenbauer am Start – Unternehmen wie beispielsweise CTS, ETIA/VOW, PYREG und SynCraft –, die den schnell wachsenden Anlagenmarkt bedienen. Bis Jahresende 2020 wurde in Europa bereits eine Pflanzenkohle-Produktionskapazität entsprechend 20.000 Tonnen Pflanzenkohle bzw. rund 40.000 Tonnen CO2 installiert. Der Anlagenmarkt wächst beträchtlich, und auch das Wachstum wächst: Die Produktionskapazität verdoppelte sich in zwei Jahren von 2018 bis 2020. Für 2021 erwarten wir eine Verdoppelung innerhalb eines Jahres. Ein Blick auf die Biomasse zeigt, dass auch diese ausreichend zur Verfügung steht, denn vielfach werden Rest- und Abfallstoffe nicht effizient genutzt. Um auch bei steigenden Produktionsvolumen für ausreichend Biomasse zu sorgen, können weitere Ressourcen einbezogen werden. Möglich ist z. B. die Pyrolyse von Klärschlamm, die in Deutschland nur noch auf die politische Freigabe wartet. In Schweden wird Klärschlamm bereits pyrolysiert und Kohlenstoff erhaltend eingesetzt. Die Bewertung von Chancen und Risiken benötigt einen wissenschaftsbasierten Ansatz. Zudem brauchen wir Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, die sich mit dem aktuellen wissenschaftlichen Sachstand auseinandersetzen. Apropos wissenschaftlicher Sachstand …

 

Was sagt die Wissenschaft zur Pflanzenkohle?

Auch schon ziemlich viel und zunehmend mehr. Der Weltklimarat IPCC hat 2018 die Pflanzenkohle als NET anerkannt. Angefangen hat die Pflanzenkohle-Forschung in den späten 1990er-Jahren. Seither nimmt der Wissenszuwachs exponentiell zu – in den letzten fünf Jahren sogar so enorm, dass 80 Prozent aller wissenschaftlichen Arbeiten mit dem Stichwort „biochar“ (engl. für Pflanzenkohle) in dieser Zeitspanne veröffentlicht wurden. Eine im Jahr 2014 veröffentliche Arbeit beinhaltet also maximal 20 Prozent des gesamten Wissens und ist somit als veraltet einzustufen. Wer tiefer in die Thematik einsteigen möchte, dem empfehlen wir immer einen Blick zum Veröffentlichungsdatum. Eine Übersicht über die aktuellen Veröffentlichungen:

  • Schmidt, HP. et al. (2020): Pflanzenkohle in der Landwirtschaft: Hintergründe zur Düngerzulassung und Potenzialabklärung für die Schaffung von Kohlenstoffsenken. Agroscope Science | Nr. 112/2021
  • Lerchenmüller, H. et al. (2020): Mit Pflanzenkohle basierten Kohlenstoffsenken dem Klimawandel entgegenwirken: EBI-Whitepaper. http://www.biochar-industry.com/wp-content/uploads/2020/09/Whitepaper_Pflanzenkohle2020.pdf
  • EBC (2020): Zertifizierung des C-Senken-Potenzials von Pflanzenkohle. Arbaz, Switzerland: http://europeanbiochar.org

 

Fazit

Der Klimawandel stellt uns vor eine drängende Mammutaufgabe: Innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte können und müssen wir die Emissionen so massiv senken, dass höchstens 15 Prozent übrig bleiben. Um die Restemissionen auszugleichen und somit das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, braucht es Kohlenstoffsenken. Die Pflanzenkohle kann in Europa 30 Prozent des erforderlichen Volumens umsetzen. Pflanzenkohle/PyCCS kommt als NET eine ganz besondere Bedeutung zu: Sie ist über Jahrhunderte stabil, die CO2-Speicherung kann einfach und exakt bilanziert werden, und die Technologie bietet wirtschaftlich interessante Synergien mit der Bioenergienutzung.

Die Anlagentechnik ist kommerziell verfügbar, und so kann Pflanzenkohle/PyCCS als NET innerhalb von 10 bis 15 Jahren zu klimarelevanten Beiträgen skaliert werden. Mit den NETs Aufforstung bzw. Wiederaufforstung, Aufbau bodenorganischer Substanz und Enhanced Weathering verbindet sie ebenfalls Synergien. Gemeinsam mit der eher langfristig wichtigen DACCS-Technologie und gegebenenfalls mit BECCS sind NETs zweifelsfrei ein Schlüssel im Kampf gegen die Klimakrise und können mit vereinten Kräften den entscheidenden Unterschied machen bzw. werden zwingend gebraucht, um den Unterschied zu machen.

Vor dem Hintergrund der knappen Zeit brauchen wir vereinte Kräfte und Geschwindigkeit: Pflanzenkohle, Aufforstung und Wiederaufforstung sowie Humusaufbau sind startklar und werden sofort im großflächigen Einsatz benötigt. Die weiteren NETs gilt es weiterzuentwickeln und geeignete Anwendungen zu finden. Die drängende Mammutaufgabe gehört uns allen: der Politik für die entsprechenden Rahmenbedingungen. Und jedem einzelnen von uns, für die stetige Reduktion des CO2-Ausstoßes und das Unterstützen der Kohlenstoffsenken.

Kohlenstoffsenke Wald

Der Wald dient durch seine Eigenschaft, der Atmosphäre mittels Photosynthese Kohlenstoff zu entziehen, als Kohlenstoffsenke und steht dadurch im Zusammenhang mit dem Klimawandel und vor allem dem Klimaschutz im Mittelpunkt. 

Waldbewirtschaftung & Klimaschutz

Die nachhaltige Waldbewirtschaftung und Nutzung von Holz hat eine größere Klimaschutzfunktion als den Wald sich selbst zu überlassen. Bewirtschafteter Wald speichert langfristig mehr COpro Hektar und Jahr als nicht bewirtschafteter Wald.

Wald & Holz sind wirksame Kohlenstoff-Speicher

Aktuell sind im österreichischen Wald ca. 800 Mio. Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Durch die Entnahme von Holz vor dem natürlichen Absterben eines Baumes und der Weiterverarbeitung in langlebigen Produkten wird das CO2 nicht in die Atmosphäre abgegeben, sondern bleibt bis zum Ende der Nutzungsdauer im Holz gespeichert. Eine nachhaltige Holznutzung bremst den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre und damit den Treibhauseffekt. 

  • 1 m³ Holz speichert rund 1 Tonne CO2 

Zum Weiterlesen

Mindert die Biomassenutzung den Klimawandel?
Kohlenstoffspeicherung im Wald - Bewirtschafteter und unbewirtschafteter Wald im Vergleich
Kohlenstoffnutzung und Klimaschutz – negative Emissionen mit Bioenergie

Zum Nachlesen

Literatur

[1] EBC. (2012): European Biochar Certificate – Guidelines for a Sustainable Production of Biochar. European Biochar Foundation (EBC), Arbaz, Switzerland. (http:European-biochar.org). Version 9.1E of 25th Sept. 2020
[2] EBC. (2020): Zertifizierung des C-Senken Potentials von Pflanzenkohle. Arbaz, Switzerland: http://europeanbiochar.org
[3] Glaser, B.; Lehmann, J. & Zech, W. (2002): Ameliorating physical and chemical properties of highly weathered soils in the tropics with charcoal – A review. Biol. Fertil. Soils 35, S. 219–230
[4] Lehmann, J.; Gaunt, J. & Rondon, M. (June 2006): Bio-char Sequestration in Terrestrial Ecosystems – A Review. Mitigation and Adaptation Strategies for Global Change
[5] Laird, D. A. (2008): The charcoal vision: a win-winwin scenario for simultaneously producing bioenergy, permanently sequestering carbon, while improving soil and water quality. Agronomy Journal
[6] Woolf, D.; Amonette, J.; Street-Perrott, F.; Lehmann, J. & Joseph, S. (2010): Sustainable biochar to mitigate global climate change. NATURE COMMUNICATIONS
[7] IPCC. (2019): 2019 Refinement to the 2006 IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories
[8] Lehmann et al. (2015): Persistence of biochar in soil. In Biochar for Environmental Management: Science, Technology and Implementation (S. 233-280)
[9] Wang, J.; Xiong, Z. & Kuzyakov, Y. (2016): Biochar stability in soil: meta-analysis of decomposition and priming effects. Global Change Biology – Bioenergy 8(3), S. 512-523
[10] Camps-Arbestain, M.; Amonette, J.; Singh, B.; Wang, T. & Schmidt, H.-P. (2015): A biochar classification system and associated test methods. In J. Lehmann & S. Joseph (Hrsg.), Biochar for environmental management (S. 165–194). London: Routledge [11] Schmidt, H.-P.; Kammann, C.; Hagemann, N.; Leifeld, J.; Bucheli, T; Monedero, M.; Cayuela, M. (2021): Biochar in agriculture – A systematic review of 26 global meta-analyses
[12] Blanco-Canqui, H.; Laird, D. A.; Heaton, E. A.; Rathke, S. and Acharya, B .S. (2020): Soil carbon increased by twice the amount of biochar carbon applied after 6 years: Field evidence of negative priming. GCB Bioenergy, 12(4): 240-251
[13] Weng, Z. et al. (2017): Biochar built soil carbon over a decade by stabilizing rhizodeposits. Nature Clim. Change, 7(5): 371-376
[14] Ye, L. et al. (2020): Biochar effects on crop yields with and without fertilizer: A meta-analysis of field studies using separate controls. Soil Use and Management, 36(1): 2-18
[15] Razzaghi, F.; Obour, P. B.; Arthur, E. (2020): Does biochar improve soil water retention? A systematic review and meta-analysis. Geoderma, Volume 361
[16] Borchard, N. et al. (2019): Biochar, soil and landuse interactions that reduce nitrate leaching and N2O emissions: A meta-analysis. Science of The Total Environment, 651: 2354-2364
[17] Godlewska, P.; Schmidt, H.-P.; Ok, Y. S.; Oleszczuk P. (2017): Biochar for composting improvement and contaminants reduction. A review. Bioresour Technol. 2017 Dec; 246:193-202
[18] Zhao, S.; Schmidt, S.; Qin, W.; Li, J.; Li, G.; Zhang, W. (2020): Towards the circular nitrogen economy – A global meta-analysis of composting technologies reveals much potential for mitigating nitrogen losses. Science of The Total Environment. Volume 704
[19] Schmidt, H.-P.; Hagemann, N.; Draper, K. and Kammann, C. (2019): The use of biochar in animal feeding. PeerJ, 7: e7373
[20] Embrén, B. (2016): Planting Urban Trees with Biochar. The Biochar Journal (tBJ). Arbaz, Switzerland. ISSN 2297-1114. www.biochar-journal.org/en/ct/77, pp 44-47.
[21] FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (2017). Versuche in der Landespflege. Versuchs-Nr. 06. https://www.fll.de/leistungsprofil/forschung/versuche-in-der-landespflege.html
[22] Gupta, S. and Kua, H. W. (2017): Factors Determining the Potential of Biochar As a Carbon Capturing and Sequestering Construction Material: Critical Review. Journal of Materials in Civil Engineering/Volume 29 Issue 9
[23] De Brito, J. and Silva, R. (2016): Current Status on the Use of Recycled Aggregates in Concrete: Where Do We Go from Here? https://doi.org/10.21809/rilemtechlett.2016.3
[24] European Asphalt Pavement Association und National Asphalt Pavement Association (2011): https://eapa.org/the-asphalt-paving-industry-a-global-perspective

Quellen

  • Hansjörg Lerchenmüller

Hansjörg Lerchenmüller ist Initiator und Mitglied im Board of Directors des CPV Consortiums, hat über 20 Jahre Erfahrung im High-Tech-Management, ist mehrfacher Unternehmer (Clean-Tech-Start-ups) und wurde im Jahr 2012 mit dem „Deutschen Umweltpreis“ ausgezeichnet.

Rechte & Produktion

© 2022 Hansjörg Lerchenmüller und waldgeschichten.com  –  Die österreichischen Familienwaldbetriebe & Österreichischer Forstverein  –  Unterstützt durch den Holzinformationsfonds der Landwirtschafskammer Österreich.

Redaktion

Wir haben sorgfältig recherchiert und Informationen zusammengetragen. Wenn ihnen dennoch etwas auffällt, was sie ändern würden oder etwas zu ergänzen wäre, bitten wir sie, Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir freuen uns über ihre Rückmeldung und Anregungen.

redaktion@waldgeschichten.com